Die Mediävistik und ihr Mittelalter

Organisatoren
Jan-Hendryk de Boer, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen; Marcel Bubert, Historisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Katharina Mersch, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2021 - 30.10.2021
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Von
Jan-Hendryk de Boer, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen; Marcel Bubert, Historisches Institut, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Katharina Mersch, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Die Mediävistik hat in den letzten Jahren an Selbstverständlichkeiten eingebüßt. Es ist zunehmend unklar, welche Themen sie behandeln und welche Methoden sie verwenden sollte, das Verhältnis zwischen den verschiedenen mediävistischen Disziplinen und deren Relation zu anderen Fachbereichen scheint revisionsbedürftig, nationale Forschungsdiskussionen verlieren an Prägekraft, doch auch eine internationale Ausrichtung bringt neue praktische wie inhaltliche Herausforderungen mit sich, selbst die Rede von ‚dem Mittelalter‘ als einer historischen Epoche ist umstritten. Solche Fragen und Probleme können nicht je für sich behandelt werden, sondern erfordern eine Verständigung darüber, was die Mediävistik sein kann und sein soll und wie sie es mit ihrem Mittelalter hält. Diese zu ermöglichen, war das Ziel der von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Tagung.

In ihrer Einführung zeigten KATHARINA MERSCH (Bochum), MARCEL BUBERT (Münster) und JAN-HENDRYK DE BOER (Duisburg-Essen), inwiefern die Mediävistik sich mit zahlreichen innerfachlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sieht, die sich etwa aus den fachlichen Debatten um Epochenkonstruktionen, den vermeintlichen Eurozentrismus und die Globalgeschichte, aber auch aus den verschiedenen Aneignungen und Popularisierungen von Mittelaltervorstellungen und eines allgemein abnehmenden Wissens vom Mittelalter ergeben.

BERNHARD JUSSEN (Frankfurt am Main) zeichnete nach, inwiefern Konstruktionen der Epoche und historische Makromodelle von ideologischen Feldern abhängen, die ihrerseits einem massiven historischen Wandel unterliegen. Neben den Einflüssen von Kolonialismus und Nationalismus widmete er sich der notwendigen Dekonstruktionsarbeit seit den 1960er-Jahren. Dass sich die Mediävistik in Zukunft nicht allein mit der Dekonstruktion von Makromodellen begnügen dürfe, sondern sich über ihre Rolle in gesellschaftlichen Kontexten verständigen müsse, veranschaulichte er an dem Bedeutungsverlust des Mittelalters in der Öffentlichkeit, wie er sich an Schulbüchern im Laufe der Zeit nachzeichnen lässt. Ein neues Angebot seitens der Mediävistik an die Gesellschaft darf dabei nicht den alten Narrativen verfallen; dies verdeutlichte der Beitrag von THOMAS BAUER (Münster) über das in den historisch arbeitenden Disziplinen verbreitete Islambild. Er skizzierte die Auswirkungen des Fortschrittsnarrativs, innerhalb dessen ‚der Islam‘ als Signum der Rückständigkeit und damit als Kontrastfolie zum Konstrukt ‚Europa‘ fungiere. Die Anwendung eurozentrischer Epochenkonstruktionen (Renaissance, Aufklärung und Säkularisierung) auf die Geschichte des Islam sowie hartnäckiges Festhalten an Fehlinformationen wie der Rede von einem vermeintlichen Wissenschaftsverbot verfestigten dieses Bild.

Auch FOLKER REICHERT (Stuttgart) widmete sich der Aufarbeitung der Forschungsgeschichte. Durch den Vergleich der akademischen Biographien von Carl Erdmann und Ernst Kantorowicz machte er auf ein weiteres Problem der Mittelalterkonstruktionen aufmerksam. Während der eine, Kantorowicz, gerade in der Frühzeit durch die historische Belletristik geprägt war, favorisierte der andere, Erdmann, eine von literarischer Imagination freie Wissenschaft. Beides hatte Folgen für das Verständnis des Mittelalters entweder innerhalb der Disziplin oder in der Öffentlichkeit. DOROTHEA WELTECKE (Berlin) unterzog ihre eigenen Ansichten über die Konstruktionen des Mittelalters anhand dreier Forschungsfelder einer Revision. Ausgehend von dem Befund, dass die syrischen Studien noch lange von rassistischen Stereotypen geprägt waren und die Mittelalterforschung die Geschichte syrischer Christen meist ausblendete, schilderte sie, wie sie der Drang zur Dekonstruktion geleitet habe, als sie sich mit dem neuzeitlichen Atheismusdiskurs zu beschäftigen begann. Mit seinen Rekursen auf polemische Schriften konstruierte er ein dunkles Mittelalter und verstellte damit den Blick auf diese Zeit langfristig. Dass die Konzentration auf die Zeitspanne zwischen etwa 500 und etwa 1500 jedoch inhaltlich begründet sein könne, zeige sich in ihren aktuellen Studien zur Verbreitung von Christen und Juden in Westasien. Weltecke sprach sich dementsprechend dafür aus, themengebundene Periodisierungen vorzunehmen und Mittelalterkonzepte zu entwickeln, die nicht von kultureller Identität ausgehen.

PATRICK GEARY (Princeton) verband eine Übersicht über verschiedene einflussreiche Mittelalterkonzeptionen mit einer Skizze der Entwicklungen innerhalb der mediävistischen Profession und ihrer Institutionen seit der Wendezeit. Er widmete sich außerdem jüngeren Themenfeldern der Mediävistik, die eine Zusammenarbeit mit anderen, etwa naturwissenschaftlichen Fächern erfordern oder voraussetzen, außerhalb von Europa entwickelte Methoden und Fragestellungen auf die Erforschung des europäischen Mittelalters anzuwenden. Aufgabe der künftigen mediävistische Forschung sei es, andere Fächer nicht nur als Hilfswissenschaften zu begreifen, sondern als Forschungspartner ernst zu nehmen. KRISTIN SKOTTKI (Bayreuth) vermaß die aktuellen postkolonialen Debatten in ihren Wirkungen auf die mediävistische Forschung. Derartige Ansätze motivierten nicht nur dazu, nach den Anfängen für die europäische Moderne konstitutiver Phänomene wie Kolonialismus und Rassismus zu suchen, vielmehr erschütterten sie grundsätzlich den Zusammenhang von Moderne und Mittelalter. Eine Deprovinzialisierung des Mittelalters befreie dieses davon, lediglich ein dunkles Vorspiel zur europäischen Selbsterhebung in der Moderne zu werden. Allerdings zeige sich in der Praxis die Herausforderung, nicht einfach wiederum aktuelle (post-)moderne Fragen dem Mittelalter überzustülpen, sondern sich diesem anzunähern unter beständiger kritischer Prüfung eigener Vorannahmen. UWE ISRAEL (Dresden) untersuchte die Forschungskontroverse zwischen Friedrich Lotter und Michael Toch über ein jüdisches Frühmittelalter. Während Lotter versucht habe, aus Rechtstexten und vor allem aus literarischen Quellen Informationen zu gewinnen, habe Toch darauf hingewiesen, dass dieses Vorgehen methodisch problematisch sei. Zudem sei Lotters Ansatz, wie Israel ausführte, von einem Streben geprägt, eine Phase positiver Beziehungen zwischen Christen und Juden zu konstruieren, die den späteren Entwicklungen entgegengesetzt werden sollte. Lotter habe seine Thesen rigoros verteidigt, wobei er immer wieder zu Angriffen ad hominem gegriffen habe, die nicht frei von judenfeindlichen Stereotypen gewesen seien. Gleichwohl habe sich Tochs Sicht schließlich durchgesetzt.

Die folgenden vier Vorträge diskutierten Themen und Tendenzen mediävistischer Forschung. Den Auftakt machte KARL UBL (Köln), der zwei Narrative der mittelalterlichen Rechtsgeschichte untersuchte. Während Charles Howard McIlwain Verfassungsgeschichte als die Geschichte vom Aufstieg des Westens erzählte, suchte die politische Theologie, die Ernst Kantorowicz betrieb, nach den mittelalterlichen Hintergründen in Rechtsbegriffen, Konzepten und Institutionen, ohne das Mittelalter an den Beginn einer linearen Entwicklungsgeschichte zu stellen. Brian Tierney habe dem Narrativ vom Aufstieg des Westens eine entschieden katholische Orientierung gegeben, wenn er das Mittelalter als Zeitalter der Entfaltung politischer Theorie vorstellte und die Gewaltenteilung als Erbteil der theologischen Trinitätslehre begriff. Ubl wollte mit seinen Ausführungen erklärtermaßen die Notwendigkeit eines Dialogs der Narrative und einer kritischen Reflexion auf ihre Leistungen und Beschränkungen aufzeigen. BENJAMIN SCHELLER (Duisburg-Essen) analysierte in seinem Vortrag die Briefe das Kaufmanns Francesco Datini auf den darin erkennbaren Umgang mit jenem Nichtwissen, mit dem Fernhandelskaufleute beständig konfrontiert waren. Dementsprechend entwickelte man zahlreiche Praktiken, die das Agieren unter den Bedingungen des Nichtwissens steuerten. Datinis Briefe zeigten, dass er sich seines Nichtwissens bewusst war, aber auch über Techniken verfügte, mit ihm umzugehen. Aus diesen Befunden leitete Scheller konzeptionelle Überlegungen zum Spätmittelalter ab: Erforscht werden sollten die damaligen weiträumigen Kommunikationsnetzwerke. An der Erforschung des Umgangs mit Nichtwissen zeige sich, wie man Geschichtsforschung für die Gegenwart betreiben könne, da man hier gleichermaßen Beziehungen zwischen Mittelalter und Neuzeit wie auch Andersartigkeiten herausarbeiten könne.

HEDWIG RÖCKELEIN (Göttingen) diskutierte am Beispiel von Medizin und Astronomie, inwiefern von Experten in Bezug auf die Vormoderne gesprochen werden könne. Beide Disziplinen standen in der Karolingerzeit in einer engen Beziehung, nahmen jedoch unterschiedliche Positionen in Politik und Ideologie ein. Die Medizin hatte hinsichtlich ihrer Inhalte wie der sozialen Stellung ihrer Vertreter eine instabile Position im Wissenssystem inne. Astronomie befand sich unter Karl dem Großen dagegen im Zentrum der Macht. Der Herrscher selbst interessierte sich nicht nur für das Fach, sondern nahm direkten Einfluss, indem er eine Disputation über die Astronomie veranstalten ließ. Insofern könne man in Bezug auf die Astronomie von einer ‚staatstragenden‘ Wissenschaft sprechen, deren Vertreter als Experten angesehen wurden. STEFFEN PATZOLD (Tübingen) widmete sich Periodisierungsfragen mit Bezug auf das erste Jahrtausend. Seit den 1990er-Jahren sei die Scheide zwischen Spätantike und Frühmittelalter nicht einfach nur langsam aufgelöst worden, vielmehr habe sich eine rege Forschungstätigkeit über diese einstige Grenze hinweg entwickelt. Begründet sei dies insbesondere in der neuen interdisziplinären Zusammenarbeit. Daraus ergebe sich die Frage, ob hier nicht eine neue Periode forschungspraktisch generiert worden sei, die allerdings noch auf ihre Benennung warte. Wie alle Neuperiodisierungen führe auch diese zu einer neuen Grenzsetzung: Gehe man vom ersten Jahrtausend als Untersuchungszeitraum aus, würden das 11. und 12. Jahrhundert zur Wasserscheide. Welche Perspektiven ein wissensgeschichtlicher Zugang auf die Erforschung der Philosophiegeschichte eröffnen könnte, diskutierte CATHERINE KÖNIG-PRALONG (Paris). Zu diesem Zweck nahm sie zwei Bereiche vergleichend in den Blick, die in der traditionellen europäischen Philosophiegeschichtsschreibung ‚kolonisiert‘ worden seien: das Mittelalter und die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert. Der Ansatz der Wissensgeschichte könne dazu beitragen, jene Sichtweise zu überwinden, welche die Geschichte der Philosophie aus der Perspektive der akademischen Disziplinen betrachtet habe. Die Wissensgeschichte sei demgegenüber ‚undiszipliniert‘, indem sie spezifische Objekte betrachte, die in einem interdisziplinären Netzwerk von Akteur:innen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen behandelt wurden. Infolgedessen lasse sich die Philosophie des Mittelalters wissensgeschichtlich breiter fassen, die dann als ‚Rhizom‘ begriffen werde mit höchst unterschiedlichen Institutionen, Produzent:innen, literarischen Genres und Adressat:innen.

Über das Werk des britischen Historikers Sir Richard Southern und dessen Rezeption in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts referierte SITA STECKEL (Münster). Dabei ging sie insbesondere auf die Rolle ein, die Southern als Vermittler des Narrativs vom Aufstieg des modernen Westens seit dem hohen Mittelalter spielte. Drei Kontexte habe er dabei verbunden: zum einen die geschichtswissenschaftliche Forschung, die eine Trennung von Staat und Kirche und damit eine Säkularisierung Europas im Mittelalter postuliert hatte; zum anderen die Debatten des gelehrten Katholizismus um das Verhältnis von Modernität und Religion; sowie drittens die Wirtschaftswissenschaft, derer sich Southern bedient habe, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Hochmittelalters als Wachstums- und Expansionsbewegung Europas zu kennzeichnen. Abschließend behandelte Steckel sowohl die Wirkungen von Southerns Thesen wie auch die seit den 1970er-Jahren sich formierende postkoloniale Kritik am Modernisierungsnarrativ.

In der Podiumsdiskussion debattierten MICHAEL BORGOLTE (Berlin), MARTIN KINTZINGER (Münster), JOHANNES PAULMANN (Mainz) und EVA SCHUMANN (Göttingen) über die Mittelalterbilder ihrer Disziplinen sowie über Zukunftsperspektiven der mediävistischen Forschung. Wie Michael Borgolte hervorhob, sei eine Reflexion über diese Fragen ein junges Phänomen. Eine reflexive Selbstbefragung des Faches habe erst gegen innerfachliche Widerstände durchgesetzt werden müssen. Eine besondere Herausforderung für das Mittelalterkonzept sei durch die Globalisierung entstanden. Gleichwohl seien Versuche, das Mittelalter abzuschaffen, zum Scheitern verurteilt, da dieses zu tief in das allgemeine Bewusstsein eingeschrieben sei. Das Thema der Relevanz der Mediävistik wurde von Martin Kintzinger aufgegriffen, der die Bedingungen der Kommunikation von Mediävist:innen mit der Öffentlichkeit erörterte. Hier sei die Mediävistik mit neuen Ansprüchen konfrontiert, die man weder einfach zurückweisen noch sich ungeprüft zu eigen machen solle. Johannes Paulmann wählte einen persönlichen Blick auf die Mediävistik, der von deren lange Zeit stolz verteidigter Sonderstellung innerhalb der Geschichtswissenschaft geprägt war. Von diesem mediävistischen Sonderweg sei man abgekommen, wenn man sich auf das Gemeinsame und Verbindende des historischen Arbeitens konzentriert habe. Eva Schumann schließlich zeigte aus der Perspektive der Rechtshistorikerin, dass manche der Problemlagen der geschichtswissenschaftlichen Mediävistik in anderen mediävistischen Disziplinen begegnen, hier jedoch andere Herausforderungen bestehen, die nicht zuletzt aus der weit geringeren Zahl von Professuren und der Erwartung resultieren, sich nicht nur mit dem Mittelalter, sondern immer auch mit neuzeitlichen Entwicklungen zu befassen.

Im letzten Vortrag der Konferenz erörterte KLAUS OSCHEMA (Bochum) die Chancen und Risiken einer europäischen Ausrichtung der Mittelalterforschung im 21. Jahrhundert. Dazu schilderte er zunächst, wie Europa um die Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Bezugsgröße historischer Studien wurde, nachdem zuvor der Nationalstaat den unhinterfragten Rahmen dargestellt habe. Es habe jedoch Uneinigkeit darüber bestanden, wie Europa konzeptionell zu fassen sei. Vor diesem Hintergrund diskutierte Oschema, wie europäische Geschichte und Globalgeschichte fruchtbar aufeinander bezogen werden könnten. Zum einen könnten methodische Anregungen aus der Globalgeschichte dazu beitragen, den Prozess- und Wandlungscharakter kultureller Formationen im europäischen Mittelalter in den Blick zu nehmen; zum anderen ermögliche die globalgeschichtliche Perspektive, europäische Besonderheiten präziser zu bestimmen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in den Debatten auf der Tagung gleichermaßen Gewissheiten wie Unsicherheiten in Bezug auf Stand und Zukunft der Mediävistik zeigten. Trotz einiger vehementer Plädoyers, ‚das Mittelalter‘ endlich zu verabschieden, bewies es doch seine Leistungsfähigkeit als orientierende Kategorie, die es erlaubte, Fragen zu entwickeln und Zusammenhänge historisch sinnhaft zu untersuchen. Definitive Antworten, wie eine Mediävistik im Jahr 2030 auszusehen habe, konnte die Tagung selbstverständlich nicht liefern, dies war allerdings auch nicht ihr Ziel. Deutlich geworden ist aber, dass die künftige Ausrichtung wesentlich davon abhängt, wie der aktuelle Zustand kartiert wird, welche Herausforderungen als relevant und welche als bloßes Rauschen begriffen werden und wie man sich zur eigenen Fachgeschichte verhält. Die historisch gewordenen Strukturen, personalen Konstellationen, Themenfelder und Methoden sind dabei nicht als determinierend zu sehen, wohl aber als unhintergehbare Voraussetzungen des eigenen Bewegens im wissenschaftlichen Feld. Insofern lohnt es sich, den Blick zurück in die Fachgeschichte zu werfen, um einen sicheren Standpunkt zu gewinnen, von dem aus die Unsicherheiten der Gegenwart nicht als dramatische Verunsicherungen, sondern als Fragen zu begreifen sind, die es zu beantworten gilt. Derartige Antworten sollten dabei weder aus der Illusion erfolgen, gleichsam mit einem Federstrich die Fachgeschichte erledigen zu können, noch sollten sie diese normativ aufladen. Schließlich zeigte sich in den Vorträgen und Diskussionen der Tagung, dass die mediävistischen Disziplinen sowie die Geschichtswissenschaft insgesamt Ressourcen bereitstellen, um die an sie herangetragenen und von ihr selbst formulierten Fragen zu beantworten. Insofern stand am Ende ein zuversichtlicherer Blick in die Zukunft der beteiligten Fächer, als es die Problembeschreibung am Anfang vielleicht hätte erwarten lassen.

Konferenzübersicht:

Einführung

Katharina Mersch (Bochum) / Marcel Bubert (Münster) / Jan-Hendryk de Boer (Duisburg Essen)

Sektion 1: Spezifik des Mittelalters?

Bernhard Jussen (Frankfurt am Main): Über Vorzeichen der Irrelevanz. Wozu sind die Mediävisten und ihr Mittelalter eigentlich gut?

Thomas Bauer (Münster): Zwischen Eurozentrismus und Teleologie. Die alten und neuen Leiden der Arabistik

Folker Reichert (Stuttgart): Wege zum Mittelalter: Ernst Kantorowicz und Carl Erdmann im Vergleich

Dorothea Weltecke (Berlin): Minderheiten und Mehrheiten: Religiöse Zugehörigkeit und das ‚Mittelalter‘?

Öffentlicher Abendvortrag

Patrick Geary (Princeton): Constructing and Deconstructing the Middle Ages

Sektion 2: Kontroverses Mittelalter

Kristin Skottki (Bayreuth): Das Mittelalter deprovinzialisieren? Eine Relecture

Uwe Israel (Dresden): Sine ira et studio? Die Mediävistik und die (De-)Konstruktion eines jüdischen Frühmittelalters

Sektion 3: Themen und Tendenzen der Mediävistik

Karl Ubl (Köln): ‚Aufstieg des Westens‘ und ‚Politische Theologie‘: Narrative der mittelalterlichen Rechtsgeschichte

Benjamin Scheller (Duisburg-Essen): Fernhandel als (Nicht-)Wissenskultur. Die Briefe Francesco Datinis (13335-1410) und seiner Gesellschaften und die Geschichte des Mittelalters

Hedwig Röckelein (Göttingen): Expertenkulturen in der Karolingerzeit: Medizin und Astronomie

Steffen Patzold (Tübingen): Der lange Schatten der Spätantike und das Ende des Frühmittelalters

Sektion 4: Internationales Mittelalter

Catherine König-Pralong (Paris): Indisziplin in der Wissens- und Philosophiegeschichte: Das Mittelalter und die Vereinigten Staaten

Sita Steckel (Münster): Von der Soziologie der Mediävistik zum Mittelalter der Soziologen. Anglophone und deutschsprachige Beispiele ihrer Beziehungsgeschichte c. 1950-1990

Podiumsdiskussion „Auf dem Weg zu einer neuen Mediävistik?“

Michael Borgolte (Berlin) / Martin Kintzinger (Münster) / Johannes Paulmann (Mainz) / Eva Schumann (Göttingen)

Sektion 5: Europäisches Mittelalter?

Klaus Oschema (Bochum): Paradigmatisch Europäisch? Chancen und Risiken einer europäischen Ausrichtung der modernen Mediävistik